Kurzbeschreibung:
In diesem Interview sprechen Dr. med. Silke Schwarz und Univ.-Prof. Dr. med. David Martin über die Auswirkungen von Smartphones auf Eltern-Kind-Beziehungen. Es geht um elterliche Präsenz, Grenzen in der digitalen Welt, Phubbing, Tracking, berufliche Belastung, Bindungsentwicklung sowie praktische Wege zu einem gesunden, achtsamen Umgang mit digitalen Medien innerhalb der Familie.
Frau Dr. Schwarz, derzeit wird viel darüber diskutiert, inwieweit Politik, Schulen oder Erziehungsberechtigte die Handy-Nutzung von Kindern und Jugendlichen einschränken sollten. Manche handhaben den Umgang mit der digitalen Welt bereits restriktiv. Ist es kennzeichnend für Helicopter-Eltern, dass sie bei 15- und 16-Jährigen die Smartphone-Zeit begrenzen und Kontakte überwachen? Oder sollten verantwortungsbewusste Eltern das so handhaben?
Für meinen Kollegen David Martin und mich ist zunächst eine kurze Einordnung des Begriffs „Helicopter-Eltern hilfreich. Aus der Perspektive achtsamer Elternschaft erweist sich der Begriff der „Helicopter-Eltern“ als unscharf, weil er responsives, präsentes Dasein rasch als Übersteuerung etikettiert und Intention, Kontext und Dosis elterlicher Unterstützung meist nur unzureichend berücksichtigt. Eltern haben oft ganz gute Gründe, manchmal Intuitionen oder eine gute Resonanz zum Kind, wenn sie sich um ihre Kinder sorgen, während dies von außen oft als Helicopter-Eltern bezeichnet wird. Manchmal liegen natürlich auch Unsicherheiten der Eltern oder Ängste um das Kind zugrunde. Es entsteht oft eine begriffliche Verkürzung, die achtsame Begleitung vorschnell problematisiert und einen ruhigen fachlichen Blick auf Qualität und Ziel elterlicher Präsens erschwert. Grenzen sind dann hilfreich, wenn sie aus einer guten Bindung mit dem Kind heraus gesetzt werden. Klare Regeln, gute Begründungen und echte Mitsprache der Jugendlichen ist essenziel. Auf diesem Weg entsteht kein „Überwachen von oben“, sondern ein gemeinsam getragener Rahmen, der Schlaf, Schule, Freizeit und zwischenmenschliche Beziehungen schützt. Die deutsche AWMF-Leitlinie zur Prävention einer dysregulierten Bildschirmmediennutzung betont für Jugendliche partizipativ vereinbarte Regeln, explizite Kontextgrenzen (bspw. keine Geräte bei Mahlzeiten) und die Förderung von Strategien zur Selbstregulation statt reines Minutenzählen. Ähnliche Ratschläge formuliert die American Academy of Pediatrics und empfiehlt einen Familien-Medienplan als praktisches Werkzeug, inklusive Bildschirmmedienfreie Zeitfenster, sowohl für Kinder, Jugendliche und den Eltern. Eine aktuelle Übersicht zeigt, dass der Plan bei Jugendlichen die Selbstregulation stärkt, wenn Regeln zu Schlaf, Lernzeiten und bildschirmfreien Zeitfenstern gemeinsam erstellt und regelmäßig angepasst werden.
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. DGKJ. SK2-Leitlinie: Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in der Kindheit und Jugend. 1. Auflage 2022. AWMFRegister Nr. 027-075. Verfügbar: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/027-075, Zugriff am 15.07.2023
Megan A. Moreno, Jenny Radesky, Mary Claire Walsh, Suzy Tomopoulos; The Family Media Plan. Pediatrics December 2024; 154 (6): e2024067417. 10.1542/peds.2024-067417
Ist es typisch für Eltern, die mit ihrer Sorge intensiv um ihren Nachwuchs kreisen, selbst viel Zeit vor digitalen Displays zu verbringen: Damit sie stets auf dem neuesten Stand über Risiken und Geschehnisse sind, die ihr Kind betreffen könnten? Und weil sie es möglicherweise auch tracken?
Eltern, die ihre Kinder tracken, tun das meistens aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus. Wir können jedoch sehen, dass die Dauerüberwachung das Vertrauen und die Autonomie schwächt. Es kann zu Gegenreaktionen führen und vermittelt eine trügerische Sicherheit, die echte Risiken oftmals nicht reduziert. Aus diesen Gründen empfehlen wir das Tracken zu unterlassen. Die dauerhafte Suche nach Informationen über Risiken und Gefahren für die Kinder wirkt verantwortungsvoll und vermittelt sicherheitsbedürftigen Eltern ein gutes Gefühl, führen in der Praxis aber oft zu Unterbrechungen in der Eltern-Kind-Interaktion. Dieses Phänomen wird als „Technoference“ beschrieben. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen dieses Phänomen. Mehr elterliche Gerätezeit hängt mit höherem elterlichen Stress und mehr kindlichen Verhaltensproblemen zusammen. Umgekehrt können problematische Verhaltenslagen der Kinder den Rückzug der Eltern ins Handy verstärken. Leitlinien empfehlen klar definierte Check-Fenster, Fokuszeiten und Familienzeiten ohne Unterbrechungen durch die Nutzung von Bildschirmmedien. Angestrebt wird eine strukturierte Erreichbarkeit, die wichtige Informationen zulässt, ohne die Beziehungskontinuität zwischen Eltern und Kindern nachhaltig zu stören.
McDaniel, B.T., Radesky, J.S. Technoference: longitudinal associations between parent technology use, parenting stress, and child behavior problems. Pediatr Res 84, 210–218 (2018). https://doi.org/10.1038/s41390-018-0052-6
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. DGKJ. SK2-Leitlinie: Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in der Kindheit und Jugend. 1. Auflage 2022. AWMFRegister Nr. 027-075. Verfügbar: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/027-075
Wenden wir uns Eltern zu, die loslassen müssen. Etwa, weil sie ihren Nachwuchs schon früh in die Verantwortung anderer übergeben, die sich in Kitas oder Ganztagsschulen um die Kinder kümmern. Fällt es solchen Menschen, die ihr Beruf häufig weiträumig fordert, schwerer, sich etwa beim Abholen aus der Kita ausschließlich ihrem Kind zuzuwenden? Kann es sein, dass sie auch während der gemeinsamen Qualitätszeit beim Spielen, Kochen oder Kuscheln doch immer wieder Emails und Nachrichten auf ihrem Smartphone checken?
Eltern haben die Möglichkeit einen bewussten Übergang zwischen Arbeit und der Eltern-Kind-Zeit zu schaffen. Einfache und wiederholbare Routinen erleichtern diesen Übergang, damit die fordernde berufliche Tätigkeit nicht dazwischenfunkt. Schon ein klarer kurzer Abschluss am Arbeitsplatz hilft beim Abschalten. Ein anschließender Übergang ohne Smartphone auf dem Weg zur Kita unterstützt zusätzlich, den Kopf freizubekommen. Das Ziel ist, solche Routinen in eine feste Struktur zu überführen, um negative Folgen deutlich zu verringern. Studien zeigen, dass schon kurze Handy-Episoden von Betreuungspersonen einen negativen Einfluss auf die Eltern-Kind-Interaktion haben können. Die Sensitivität, nonverbale Zuwendung und die Dialogzeit zwischen Eltern und Kind werden gemindert. Kinder reagieren hierauf in der Regel mit Protest oder Rückzug. Aus einer entwicklungspsychologischen Perspektive ist dieses Phänomen kritisch zu betrachten. Die vielen Makro- und Mikro-Interaktionsfenster, die als Lern- und Bindungsgelegenheiten betrachten werden können, sind besonders in den ersten Lebensjahren elementar und werden durch die Nutzung von Bildschirmmedien verdrängt. Handyfreie Rituale schützen die Qualität dieser Lernmomente. Vielfältige Vorschläge wie Ankommens-Momente, gemeinsames Essen oder Vorlesen wirken sich deutlich positiv auf die Eltern-Kind-Bindung aus, besonders wenn das Gerät außer Sicht bleibt. Diese schützenden Kontexte werden durch die Wissenschaft empfohlen.
Radesky J, Miller AL, Rosenblum KL, Appugliese D, Kaciroti N, Lumeng JC. Maternal mobile device use during a structured parent-child interaction task. Acad Pediatr. 2015 Mar-Apr;15(2):238-44. doi: 10.1016/j.acap.2014.10.001. Epub 2014 Nov 22. PMID: 25454369; PMCID: PMC4355325.
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. DGKJ. SK2-Leitlinie: Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in der Kindheit und Jugend. 1. Auflage 2022. AWMFRegister Nr. 027-075. Verfügbar: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/027-075
Sticca F, Brauchli V and Lannen P (2025) Screen on = development off? A systematic scoping review and a developmental psychology perspective on the effects of screen time on early childhood development. Front. Dev. Psychol. 2:1439040. doi: 10.3389/fdpys.2024.1439040
Unabhängig von beruflichen und anderen Verpflichtungen, belegt das Smartphone mit seinen digitalen Möglichkeiten unser Sein und Bewusstsein immer stärker. Früher wurden Mütter schon schräg angesehen, wenn sie mit dem Baby auf dem Arm einen dringenden Anruf auf dem Handy entgegengenommen haben. Jetzt ist es ein alltägliches Bild, dass Mütter und Väter den Kinderwagen beim Spaziergehen „blind“ anstupsen, während sie mit unbewegtem Blick auf ihre Smartphones starren. Wie kann das sein: Es gehört doch zu den schönsten Erlebnissen, mit dem eigenen Baby und dessen Mimik zu interagieren, sich an seinen Reaktionen auf die Welt und auf das eigene Lächeln oder auch Sprechen zu erfreuen, kleine Details seines Verhaltens und seiner Entwicklung zu bemerken – und im Herz, statt im Insta-Video zu konservieren?
Smartphones sind drauf konzipiert die Aufmerksamkeit von Menschen zu absorbieren. Als Beispiele lassen sich Push-Benachrichtigungen, auffällige Bilder und hohe Interaktivitätsanforderungen bis hin zum passiven Kurzvideokonsum nennen. Oft reicht die bloße Sichtbarkeit von Smartphones, um Gesprächsqualität und gefühlte Verbundenheit zu dämpfen, besonders in Dialogen. Ähnlich zur vorherigen Frage leidet die Interaktion zwischen Eltern und Kindern. Kleinkinder profitieren überproportional von sozialen Reizen die sie live erleben und reagieren sehr sensibel und nachhaltig auf Störungen, auch durch das ungenutzte, aber sichtbare Gerät. Gerade Babys brauchen häufig eine absichtslose Ruhe, damit sie in die feinen Mikro-Interaktionen mit ihren Eltern finden. In dieser stillen Präsenz können Eltern sich am Blickkontakt, am Lächeln und den Lauten ihres Kindes erfreuen und genau daraus entsteht eine wertvolle Interaktion. Für Eltern gilt es diese Momente zu schützen und Strategien zu entwickeln, um das Kind in den Fokus der Aufmerksamkeit zu stellen und nicht das Smartphone. Das Abschalten von Push-Benachrichtigungen, das Weglegen des Geräts und auch die Erschwerung der Bedienerfreundlichkeit können hierfür hilfreich sein. Auf den Social Media Kanälen ist es mittlerweile auch möglich das Anzeigen von Shorts, sogenannten Kurzvideos, auszuschalten. Für gemeinsame Ausflügen mit dem Kinderwagen kann das Handy ganz zu Hause gelassen oder in den Flugmodus gestellt werden.
Przybylski, A. K., & Weinstein, N. (2012). Can you connect with me now? How the presence of mobile communication technology influences face-to-face conversation quality. Journal of Social and Personal Relationships, 30(3), 237-246. https://doi.org/10.1177/0265407512453827 (Original work published 2013)
Stockdale LA, Porter CL, Coyne SM, Essig LW, Booth M, Keenan-Kroff S, Schvaneveldt E. Infants‘ response to a mobile phone modified still-face paradigm: Links to maternal behaviors and beliefs regarding technoference. Infancy. 2020 Sep;25(5):571-592. doi: 10.1111/infa.12342. Epub 2020 Jun 4. PMID: 32857440.
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. DGKJ. SK2-Leitlinie: Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in der Kindheit und Jugend. 1. Auflage 2022. AWMFRegister Nr. 027-075. Verfügbar: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/027-075
Zerstört das Smartphone Momente und Möglichkeiten, die klassisch dazu beigetragen haben, dass sich eine Bindung zwischen Eltern und Kind aufbaut? Fehlt dem Nachwuchs von Smartphone-Eltern gleich oder später das beruhigende Gefühl von Verlässlichkeit und Rückhalt durch die Eltern, von „alles wird gut“?
Einzelne Ablenkungen durch Bildschirmmedien lassen sich gut ausgleichen. Diese ersten Anzeichen sollten aber ernstgenommen werden, um das Risiko eines sich verfestigenden Musters häufiger Unverfügbarkeit durch Bildschirmmedien zu minimieren. In der Phone-Still-Face-Forschung zeigen Säuglinge bei elterlicher Handy-Absorption mehr negativen/weniger positiven Affekt und erholen sich nach Wiederzuwendung oft langsamer. Rezidivierende Unterbrechungen sollten demnach vermieden werden, um die Bindung zwischen Eltern und Kind nicht nachhaltig zu schädigen. Kommt es zu kurzen Momenten der Ablenkung, sollten Eltern diese bewusst wahrnehmen und ein bedürfnisorientiertes Wiedergutmachungsritual initiieren: benennen, entschuldigen und zuwenden. Es ist entscheidend zu verstehen, dass das gemeinsame Erleben sowie zahlreiche kleine und große Interaktionen zwischen Kindern und Eltern elementare Bestandteile einer nachhaltigen, gesunden Bindung sind.
Stockdale LA, Porter CL, Coyne SM, Essig LW, Booth M, Keenan-Kroff S, Schvaneveldt E. Infants‘ response to a mobile phone modified still-face paradigm: Links to maternal behaviors and beliefs regarding technoference. Infancy. 2020 Sep;25(5):571-592. doi: 10.1111/infa.12342. Epub 2020 Jun 4. PMID: 32857440.
Schwarz, S., Martin, D., & Brockmeier, L. C. (2022). Phubbing als neue Form sozialer Interaktionsstörung: ,,Bildschirmfrei bis 3“ adressiert auch das Verhalten der Eltern. Kinder- und Jugendarzt, 53. Jahrgang, 521–524.
Kann eine durchs Smartphone „abgelenkte Elternschaft“ die Entwicklung der Hirnstruktur der Babys beeinträchtigen oder die kindliche Stress-Regulierung stören?
Direkte Kausalpfade „Phubbing Hirnstruktur“ sind bisher nicht belegt. Nicht das Gehirn formt sich um, sondern die Stresslasst steigt, denn elterliches Phubbing kann zu höheren Stressreaktionen beim Baby und zu niedrigeren Entwicklungswerten führen. Weitere Ergebnisse sind bei einer gestörten Ko-Regulation und Schlaf zu finden. Studien belegen, dass Bildschirmnutzung bei Kindern und Jugendlichen mit verkürzter und verschobener Schlafdauer einhergeht. Dahinter stecken Mechanismen wie: zeitliche Verdrängung, physiologische Aktivierung durch interaktive Inhalte und abendliches Licht aus Displays. Neben direkter Bildschirmmediennutzung spielen Hintergrundmedien eine Rolle. Laufen TV und Tablet „nebenbei“ leidet die Qualität und Menge der Eltern-Kind-Interaktion, eine Form Interaktion zur Ko-Regulation, die für Stressberuhigung und Sprach-/Kognitionsaufbau gebraucht wird. Die elterliche Ablenkung senkt die Feinfühligkeit in sensiblen Momenten und Kleinkinder zeigen physiologische Mitreaktionen, wie den Anstieg von Stressparametern im Körper. Diese Beobachtungen unterstützen die Ergebnisse der Phone-Still-Face-Forschung. Zur Vermeidung dieser Probleme werden bildschirmfreie Abendroutinen sowie gerätefreie Kinder- und Schlafzimmer empfohlen.
Schwarz, S., Krafft, H., Maurer, T., Lange, S., Schemmer, J., Fischbach, T., Emgenbroich, A., Monks, S., Hubmann, M. and Martin, D. (2025), Screen Time, Nature, and Development: Baseline of the Randomized Controlled Study “Screen-free till 3”. Developmental Science, 28: e13578. https://doi.org/10.1111/desc.13578
Porter, C. L., Coyne, S. M., Chojnacki, N. A., McDaniel, B. T., Reschke, P. J., & Stockdale, L. A. (2024). Toddlers’ physiological response to parent’s mobile device distraction and technoference. Developmental Psychobiology, 66, e22460. https://doi.org/10.1002/dev.22460
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. DGKJ. SK2-Leitlinie: Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in der Kindheit und Jugend. 1. Auflage 2022. AWMFRegister Nr. 027-075. Verfügbar: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/027-075
Sticca F, Brauchli V and Lannen P (2025) Screen on = development off? A systematic scoping review and a developmental psychology perspective on the effects of screen time on early childhood development. Front. Dev. Psychol. 2:1439040. doi: 10.3389/fdpys.2024.1439040
Fühlen sich Kinder, deren Eltern das Smartphone wichtiger zu sein scheint als ihr Kind, allein gelassen, nicht gesehen, gar unbedeutend? Was macht das mit den Heranwachsenden?
Phubbing wird bei vielen Kindern als soziale Abwertung empfunden. Empirisch finden sich Zusammenhänge zwischen elterlichem Phubbing und schlechterer sozial-emotionaler Anpassung der Kinder. Im Jugendalter tritt häufiger eine Verminderung des empfundenen Familienzusammenhalts auf, die wiederum mit mehr Depressivität zusammenhängen kann. Generell ist ein stabiler positiver Familienzusammenhalt ein positiver Faktor, der generell protektiv auf depressive Symptome wirkt. Kinder können durch elterliches Phubbing sozialen Ausschluss empfinden, der nachweislich das Zugehörigkeitserleben und den Selbstwert reduziert. Regelmäßige Handyfreie Gesprächszeiten können einen Anfang darstellen und könnten bei anhaltender Belastung durch eine professionelle Beratung ergänzt werden. Insgesamt ist jedoch festzustellen, dass die Folgen für Kinder schwer abschätzbar sind, weil aussagekräftige Langzeitstudien fehlen.
Zhang J, Dong C, Jiang Y, Zhang Q, Li H, Li Y. Parental Phubbing and Child Social-Emotional Adjustment: A Meta-Analysis of Studies Conducted in China. Psychol Res Behav Manag. 2023 Oct 19;16:4267-4285. doi: 10.2147/PRBM.S417718. PMID: 37877136; PMCID: PMC10591670.
Bian Y, Jin K, Zhang Y. The association between family cohesion and depression: A systematic review and meta-analysis. J Affect Disord. 2024 Jun 15;355:220-230. doi: 10.1016/j.jad.2024.03.138. Epub 2024 Mar 28. PMID: 38554880.
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. DGKJ. SK2-Leitlinie: Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in der Kindheit und Jugend. 1. Auflage 2022. AWMFRegister Nr. 027-075. Verfügbar: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/027-075
Bekommen die Eltern vieles gar nicht mit, fühlen sie sich gar gestört, wenn das Verhalten ihres Kindes sie dabei unterbricht, sich mit ihrem Smartphone zu beschäftigen? Fühlen sich die Kinder schuldig, böse, ungeliebt, wenn die Eltern sie in einem solchen Fall gar streng „zur Räson“ bringen?
Wenn Bezugspersonen stark im Gerät „versinken“, sinken Sensitivität und Responsivität: Antworten werden knapper oder gereizter und Kinder reagieren darauf mit Protest oder Rückzug. Eltern die sich vertieft mit dem Smartphone beschäftigen sind im Durchschnitt weniger zugewandt und Unterbrechungen durch das Kind führen häufiger zu harschen Kurzreaktionen. Das Handy reduziert verbale und nonverbale Kommunikation. Kinder internalisieren negative Empfindungen und sie fühlen sich zurückgewiesen und sozial ausgeschlossen. Die Technoference-Forschung unterstreicht diese Befunde: mehr elterliche Unterbrechungen durch Technik führt zu mehr elterlichem Stress und mehr kindlichen Verhaltensauffälligkeiten und umgekehrt. Entscheidend ist hier die Vorbildfunktion der Eltern. Kinder übernehmen zuerst, was sie sehen. Wer als Eltern Präsenzfenster konsequent schützt, Erreichbarkeit bündelt und auf Bildschirmmedien in Interaktionszeiten verzichtet, der schafft positive Lernmomente für Kinder. Vorbilder setzten Standards für die ganze Familie und unterstützen die Glaubwürdigkeit von Routinen und reduzieren Schuldgefühle bei Kindern. Über allem steht, dass Kinder nicht dauerhaft missachtet werden dürfen. Trigger, die Reizbarkeit und Schuldgefühle befeuern, müssen kontext- und inhaltsabhängig identifiziert und moderiert werden.
Schwarz, S, Krafft, H, Büssing A, Boehm K, Reckert T, Büsching U, Martin D. Eltern und Geschwister als Vorbilder im Umgang mit digitalen Bildschirmmedien – Ergebnisse einer MedienFasten-Intervention. Kindheit und Entwicklung, submitted (2020)
McDaniel BT, Radesky JS. Technoference: longitudinal associations between parent technology use, parenting stress, and child behavior problems. Pediatr Res. 2018 Aug;84(2):210-218. doi: 10.1038/s41390-018-0052-6. Epub 2018 Jun 13. PMID: 29895837; PMCID: PMC6185759.
Radesky, Jenny & Miller, Alison & Rosenblum, Katherine & Appugliese, Danielle & Kaciroti, Niko & Lumeng, Julie. (2014). Maternal Mobile Device Use During a Structured Parent–Child Interaction Task. Academic Pediatrics. 15. 10.1016/j.acap.2014.10.001.
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. DGKJ. SK2-Leitlinie: Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in der Kindheit und Jugend. 1. Auflage 2022. AWMFRegister Nr. 027-075. Verfügbar: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/027-075
Sind Smartphone-Eltern in akut gefährlichen Situationen gar das Gegenteil von Helicopter-Eltern? Weil es ihnen vielleicht ganz recht ist, wenn das Kind auch ohne ihre Begleitung über die belebte Straße zur Bushaltestelle geht, während sie selbst noch ein paar Insta-Posts anschauen? Oder überwiegt hier doch der Eltern-Instinkt?
In risikoreichen Kontexten zählt ungeteilte Aufmerksamkeit zur Reduzierung der Gefahren. Das kurze Texten oder Scrollen auf dem Bildschirm können das Situationsbewusstsein mindern und die Reaktionszeiten verlängern. Untersuchungen zeigen bereits, dass Eltern am Spielplatz den Großteil der Zeit am Smartphone verbringen und in diesen Phasen weniger auf kindliche Risiken und Signale reagieren. Der Handyfokus reduziert die verbale und nonverbale Zuwendung messbar. Dieses stellt einen plausiblen Mechanismus dar, warum die Sicherheitsaufsicht leidet. Die Aufsicht und Ko-Regulation werden durch Technik-Unterbrechungen gestört, was in riskanten Umgebungen stärker ins Gewicht fällt als in „sicheren“ Kontexten. Deshalb sind klar definierte „Phone-No-Go-Zonen“ zu empfehlen, etwa beim Straßenüberqueren, an der Haltestelle, am Wasser oder auf dem Spielplatz. Dieser Ansatz ist sinnvoll und deutlich wirkungsvoller als reine Vorsätze. Die Regeln werden vorab festgelegt und sichtbar gemacht, um sie konsequent einüben zu können. Übergangsituationen wie im Straßenverkehr oder auf dem Spielplatz müssen für Eltern mit ihren Kindern sicher sein. Kontextbasierte Schutzregeln und handyfreie Routinen sind ein Schlüssel zum Erfolg.
Jenny S. Radesky, Caroline J. Kistin, Barry Zuckerman, Katie Nitzberg, Jamie Gross, Margot Kaplan-Sanoff, Marilyn Augustyn, Michael Silverstein; Patterns of Mobile Device Use by Caregivers and Children During Meals in Fast Food Restaurants. Pediatrics April 2014; 133 (4): e843–e849. 10.1542/peds.2013-3703
Bury K, Jancey J, Leavy JE. Parent Mobile Phone Use in Playgrounds: A Paradox of Convenience. Children (Basel). 2020 Dec 10;7(12):284. doi: 10.3390/children7120284. PMID: 33321744; PMCID: PMC7764574.
Mackay, L.J., Komanchuk, J., Hayden, K.A. et al. Impacts of parental technoference on parent-child relationships and child health and developmental outcomes: a scoping review protocol. Syst Rev 11, 45 (2022). https://doi.org/10.1186/s13643-022-01918-3
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. DGKJ. SK2-Leitlinie: Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in der Kindheit und Jugend. 1. Auflage 2022. AWMFRegister Nr. 027-075. Verfügbar: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/027-075
Sie unternehmen mit Ihren „Bildschirm-frei-Initiativen“ etwas gegen überbordende Bildschirmnutzung. „Phubbing“ steht für eine Kombination aus „Phone“ und „Snubbing“, also Telefon und Brüskieren durch Nicht-Beachten, Ausschließen, Ignorieren. – Wie können Eltern aus der Falle herausfinden, die ihnen das Smartphone stellt, wenn es sie zu Eltern-Kind-Phubbing verleitet?
Wir empfehlen mit Medienfasten ein niedrigschwelliges Angebot, das an dieser Stelle eine passende Lösung darstellt. Beim Medienfasten setzen Eltern und ggf auch Kinder, die schon Bildschirmzugang haben, für einen klar begrenzten Zeitraum ihre Bildschirmnutzung bewusst stark herab. Es werden feste bildschirmfreie Zeiten (z.B. Spielen, Mahlzeiten, Abendroutine) etabliert und Eltern gewinnen so Aufmerksamkeit für Routinen, die zum Phubbing verleiten. Ziel ist es den eigenen Umgang mit Bildschirmmedien zu reflektieren und neue Gewohnheiten zu schaffen. Am verlässlichsten funktioniert hierfür ein Zusammenspiel aus Struktur, Umfeldgestaltung und Beziehungsarbeit. In der deutschen Leitlinie empfehlen wir kontextbasierte Regeln, sichtbare Absprachen in der Familie und gerätefreie Routinen. Eine andere wichtige Unterstützung kann ein Familien-Medien-Plan sein. Diese Ansätze helfen allen Familienmitgliedern eine klare Struktur zu entwickeln und sich daran zu halten. Bildschirmfreie Zeiten und Räume können geschaffen und die Beeinträchtigung durch Bildschirmmediennutzung aufgebrochen werden. Hier sind einige Beispiele:
bildschirmfreie Tageszeiten definieren
- bildschirmfreie Räume gestalten (Schlafzimmer ohne Medien)
- Mahlzeiten, Abendroutinen, Interaktion ohne Medien
- Push-Benachrichtigungen reduzieren, Nicht-stören-Modi aktivieren
- „Handybett“ basteln oder anderen Ort finden, wo mobile Geräte gesammelt werden, wenn z.B. Besuch da ist, am Abend oder während der gemeinsamen Spiel und Lesezweit etc.
- Feste Zeiten planen (z.B. eine Stunde am Abend, wenn das Kind im Bett ist, um E-Mails und andere Nachrichten zu beantworten.
Familien, die einen gemeinsamen Plan verfolgen, Ablenkungsreize bewusst reduzieren, Erreichbarkeiten strukturieren und Wiedergutmachungsrituale verlässlich pflegen, vermeiden genau die Momente, in denen Phubbing als sozialer Ausschluss erlebt wird.
Schwarz, Silke & Krafft, Hanno & Büssing, Arndt & Boehm, Katja & Reckert, Till & Büsching, Uwe & Martin, David. (2019). Self-Perceived Usage of Digital Screen Media and Intentions to Reduce it: An Open, Prospective, Multi-Centered, Pseudonymized Survey among Parents and their Children. Archives of pediatrics. 4. 171. 10.29011/2575-825X.100171.
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. DGKJ. SK2-Leitlinie: Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in der Kindheit und Jugend. 1. Auflage 2022. AWMFRegister Nr. 027-075. Verfügbar: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/027-075
Megan A. Moreno, Jenny Radesky, Mary Claire Walsh, Suzy Tomopoulos; The Family Media Plan. Pediatrics December 2024; 154 (6): e2024067417. 10.1542/peds.2024-067417
Welche Tipps geben Sie Eltern, damit auch Erwachsene einen gesünderen Umgang mit dem Smartphone hinbekommen – zugunsten ihrer Kinder?
Am zuverlässigsten funktioniert ein alltagstauglicher Rahmen, der planbare Erreichbarkeit mit sichtbaren Ritualen verbindet. Feste Check-Fenster statt Dauer-Scrollen, eine Liste für wirklich wichtige Anrufe/Nachrichten und die Verwendung von maximal einem Bildschirm. In Interaktionsphasen mit dem Kind wird das Telefon konsequent außer Sichtweite geparkt. Als Beispiel für eine störungsfreie Bettroutine lohnt sich ein fester „Parkplatz“ oder „Handybett“ für das Handy außerhalb des Schlafzimmers. Aktivieren Sie „Nicht stören“ und schließen Sie den Abend mit wiederkehrenden Ritualen (Vorlesen, leises Gespräch, Licht dimmen) ab, damit Aufmerksamkeit und Rhythmus beim Kind bleiben. Hilfreich kann es für Erwachsene auch sein, die tägliche Handyzeit auf dem Gerät nachzuschauen. So kann ein Bewusstsein für die Zeit geschaffen werden, die an dem Handy sehr schnell hoch wird. Zudem kann in vielen Apps auch eine tägliche, zeitliche Begrenzung eingestellt werden, sodass die Apps nach Erreichen der Höchstdauer eine Erinnerung senden oder schließen. Zuletzt können Erwachsene oder Jugendliche einen Selbsttest machen, z.B. den CIUS (Compulsive Internet Use Scale), um sich selbst für die eigene Nutzung zu sensibilisieren.
Nutzen Kinder Bildschirmmedien, sollte hier auf das Prinzip des Co-Viewing gesetzt werden: Inhalte gemeinsam anschauen und besprechen. Die Inhalte sollten vorher auf die Eignung für das eigene Kind geprüft werden. – aber am besten ist Interaktion ohne Medien die sich dazwischendrängen. Der entscheidende Hebel ist die elterliche Vorbildfunktion. Kinder lernen am stärksten über Modellverhalten und wenn Eltern ihre eigene Nutzung transparent strukturieren, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Bildschirmzeit wertvolle Mikro-Interaktionen verdrängt. Es ist weniger die reine Stundenzahl der Nutzung, sondern wann, wo und wozu Erwachsene das Gerät einsetzen und ob dies geschützte Familienfenster unterbricht. Soziale Ausschlussmomente sollten vermieden werden. Eltern die ihre Erreichbarkeit bündeln, schützen Zugehörigkeit, Kommunikation und Ko-Regulation im Alltag.
Schwarz, S., Martin, D., & Brockmeier, L. C. (2022). Phubbing als neue Form sozialer Interaktionsstörung: ,,Bildschirmfrei bis 3“ adressiert auch das Verhalten der Eltern. Kinder- und Jugendarzt, 53. Jahrgang, 521–524.
Sticca F, Brauchli V and Lannen P (2025) Screen on = development off? A systematic scoping review and a developmental psychology perspective on the effects of screen time on early childhood development. Front. Dev. Psychol. 2:1439040. doi: 10.3389/fdpys.2024.1439040
Inhalt umschalten Lassen sich durch Phubbing bedingte Schäden in der Entwicklung des Kindes oder in der Eltern-Kind-Beziehung beheben? Oder stellen Kinder, angeleitet durch das schlechte Vorbild, in ihrem eigenen Leben, und wenn sie selbst Kinder haben, ebenfalls das Smartphone in den Mittelpunkt ihrer Wahrnehmung und Aufmerksamkeit?
Eltern-Kind-Beziehungen sind hochdynamisch. Einzelne Ablenkungen lassen sich durch kurze, explizite Äußerungen abfangen: „Ich war eben abgelenkt – jetzt bin ich ganz da“. Im Vordergrund sollte jedoch die Prävention dieser negativen Erlebnisse stehen. Priorität hat, diese belastenden Erfahrungen zu vermeiden, indem Interaktionen so angelegt sind, dass Eltern erst gar nicht in Situationen geraten, in denen sie ihren Kindern Mikrotraumata bzw. Verletzungen zufügen. Diese wiederholte und erlebte Wiederzuwendung stabilisiert über die Zeit Vertrauen und Selbstregulation. Ob Kinder künftig das Smartphone in den Mittelpunkt rücken, hängt im häuslichen Umfeld maßgeblich vom elterlichen Vorbild ab. Kinder übernehmen den Umgang, den sie täglichen sehen. Eine präsente und kontextbewusste Mediennutzung oder ein Muster der ständigen Unterbrechung. Zur Prävention müssen familiäre Rituale geschützt, Unterbrechungen durch Medien reduziert und Momente der Ablenkung bewusst wahrgenommen werden, sodass die Entwicklung der Kinder nicht gefährdet wird. Kein Kind sollte Zurückweisung erleben müssen, weil sie in Konkurrenz zu Bildschirmmedien stehen. Eltern sind in der Pflicht Präsens zu signalisieren und gemeinsame Regeln zu leben.
Außerhalb des häuslichen Umfeld sind Kitas und Schulen in der Pflicht einen verantwortungsvollen Umgang mit Bildschirmmedien zu vermitteln. In Kindertagesstätten werden bereits handyfreie Übergaben, elternbegleitete Medienerfahrungen und frühe Medienbildung für Erzieher:innen etabliert. Schulen verankern das Thema über Curricula, Schulprogramme und Medienkonzepte. In NRW dient hierfür der Medienkompetenzrahmen, um kritische Medien- und Informationskompetenz sowie gesunde Nutzungsroutinen zu stärken. Wenn Familie, Kita und Schulte feste Präsenzrituale, klare Erreichbarkeitsfenster und verbindliche Rückkehr zum Miteinander pflegen, stärkt das Bindung, Selbststeuerung und einen gesunden Medienumgang.
Schwarz, S., Martin, D., & Brockmeier, L. C. (2022). Phubbing als neue Form sozialer Interaktionsstörung: ,,Bildschirmfrei bis 3“ adressiert auch das Verhalten der Eltern. Kinder- und Jugendarzt, 53. Jahrgang, 521–524.
Sticca F, Brauchli V and Lannen P (2025) Screen on = development off? A systematic scoping review and a developmental psychology perspective on the effects of screen time on early childhood development. Front. Dev. Psychol. 2:1439040. doi: 10.3389/fdpys.2024.1439040
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. DGKJ. SK2-Leitlinie: Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in der Kindheit und Jugend. 1. Auflage 2022. AWMFRegister Nr. 027-075. Verfügbar: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/027-075